LG Stuttgart: LIDL muss Pfand auch bei zerdrückten Dosen erstatten

LIDL muss Pfand auch bei zerdrückten Dosen erstatten

Das LG Stuttgart hat mit Urteil vom 19.01.2022 (35 O 67/21 KfH; noch nicht rechtskräftig) entschieden, dass die Firma LIDL Vertriebs GmbH & Co. KG (im Folgenden: LIDL) Verbrauchern das Pfand gegen Entgegennahme von Dosen auch dann erstatten muss, wenn diese Dosen zerdrückt bzw. deformiert sind.

Hintergrund

Es kommt immer wieder vor, dass sich Lebensmittelunternehmen und -marktbetreiber weigern, Verbrauchern das Pfand für die Entgegennahme von Dosen zu erstatten, wenn die Dosen zerdrückt wurden. Auf dieses Problem weist bspw. die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen auf Ihrer Website hin.

So hat, nachdem der Pfandautomat in der Filiale Dosen wegen ihrer Deformation nicht akzeptiert hatte, die Kassiererin von LIDL die Entgegennahme der Dosen verweigert, weil diese zu stark zerdrückt seien. Oftmals werden derartige Verpackungen von Verbrauchern aber ganz  bewusst zerdrückt, um zum Zwecke des Transports das Volumen zu verringern (denn die Dose wird am Ende ohnehin eingeschmolzen). In solchen Fällen stellt sich dann die Frage, ob der Verbraucher tatsächlich, obwohl er den gesamten Wertstoff wieder der Wertstoffkette zuführen könnte, auf dem Pfandbetrag sitzen bleiben muss.

Die Entscheidung des LG Stuttgart

Das LG Stuttgart hat in einem von Benjamin Stillner geführten Verfahren die heftig umstrittene Frage, ob die Verpackung zum Zwecke der Rücknahme (nahezu) unbeschädigt sein muss, zugunsten der Verbraucher entschieden.

Das Gericht hat zunächst klargestellt, dass die Pflicht von LIDL zur Rückerstattung des Pfands nicht davon abhängt, ob die Dose deformiert ist oder nicht:

Anders als die Beklagte meint, steht eine starke Deformation der Rücknahmepflicht nicht entgegen. Der Wortlaut des § 31 Abs. 2 S. 1 VerpackG umfasst sämtliche restentleerte Einweggetränkeverpackungen. Auf den Zustand kommt es nicht an, da auch eine deformierte Dose vom Wortsinn her noch eine Verpackung ist. Auch aus § 15 Abs. 1 S. 1 VerpackG lässt sich keine entsprechende Beschränkung entnehmen. Zwar heißt es darin, dass restentleerte Verpackungen der gleichen Form zurückgenommen werden müssen. Der Hinweis auf die Form kann aber nicht dahingehend verstanden werden, dass eine Rücknahmepflicht nicht mehr besteht, wenn die Verpackung zerdrückt ist und somit eine andere Form aufweist. Gegen diese Bedeutung spricht schon, dass eine solche Beschränkung der Rücknahmepflicht für Einweggetränkedosen gar keinen Sinn ergeben würde, da diese Dosen nicht als solche wiederverwertet sondern nach Rückgabe durch den Kunden ohnehin zusammengepresst werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Vorhandensein der ursprünglichen Form auch nicht erforderlich, um zu prüfen, ob die Ausnahmetatbestände des § 31 Abs. 2 S. 3 und 4 VerpackG vorliegen. So ist grundsätzlich – wie die Anlage K2 zeigt – auch bei einer stark deformierten Getränkedose das Material und die Marke erkennbar. Den Bedenken der Beklagten wegen der Hygiene kann dadurch Rechnung getragen werden, dass man für solche Fälle ein Behältnis aufstellt, in das die Kunden die Dosen, die der Automat nicht nimmt, hineinwerfen können.

Das Landgericht musste außerdem über die dogmatisch sehr interessante Frage entscheiden, inwieweit der Verstoß gegen die Vorschrift aus dem Verpackungsgesetz als Marktverhaltensvorschrift überhaupt wettbewerbsrechtlich überprüfbar ist, weil insoweit eine Sperrwirkung der Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken in Betracht komme. Diese Frage hat das LG Stuttgart mit der Begründung verneint, dass die Regelung über die Pfanderstattung gar nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle:

Die Annahme des Verstoßes gegen § 3a UWG steht im vorliegenden Fall auch nicht die Sperrwirkung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken entgegen. Zwar kann im Anwendungsbereich der Richtlinie ein Verstoß gegen eine nationale Marktverhaltensregel die Unlauterkeit nach § 3a UWG nur begründen, wenn die nationale Bestimmung eine unionsrechtliche Grundlage hat (BGH v. 07.05.2015 – I ZR 158/14 – Rn. 19 – Der Zauber des Nordens). Die Regelung des § 31 Abs. 2 VerpackG fällt aber – wie dargelegt – nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie, sodass auch keine Sperrwirkung besteht (BGH v. 06.02.2014 – I ZR 2/11 – Rn. 20 – GOOD NEWS II; vgl. auch EuGH v. 17.10.2013 – C-391/12 – Good News). Daher kann im vorliegenden Fall offenblieben, ob eine ausreichende unionsrechtliche Grundlage gegeben ist.

Praktische Auswirkungen

Auch wenn es im Einzelfall nur um wenige Cent gehen mag, besteht die Unsicherheit flächendeckend, unter welchen Umständen der Lebensmittelmarktbetreiber, ein Tankstellenpächter, usw., eine Rücknahme der Verpackung gegen Erstattung des Pfandes zurückweisen darf. Summiert man die Fälle, ist die wirtschaftliche Bedeutung der hier ausgeurteilten Frage von ganz erheblicher Bedeutung. Nach dem Urteil des LG Stuttgart dürfen Unternehmer nicht mehr verlangen, dass die zurückgebrachte Verpackung (nahezu) unbeschädigt ist. Die Vorgabe ist klar: Das Pfand ist auszuzahlen.

 

Bild: istock.com/klyaksun



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